Im Winter hat das Sterben Hochkonjunktur

Von Lan-Na Grosse

„Im Winter hat das Sterben Hochkonjunktur“

Es gibt 1001 Weg, den Tod zu begehen. Nicht jeder ist legal, nicht jeder ist gern gesehen, aber an ihm führt keiner vorbei: dem Bestatter. Eine Reportage über den Tod und seinen Gehilfen – und darüber, dass nicht immer alles so ist, wie es scheint.

E s ist einer dieser schwülen Sommertage im Juni. Die diesigen Schleierwolken hängen tief über dem blassblauen Himmel von München – weiß- blau, wie es sich für Bayern gehört. Vorbei an kleinen Läden, die die stark befahrenen Straßen der Münchener Innenstadt säumen und um diese Zeit meist leer sind, eilen Menschen mit großen Sonnenbrillen über den heißen Asphalt, um endlich der Hitze der Stadt in Richtung Isar zu entfliehen. In die Schaufenster an ihrer Seite werfen sie höchstens flüchtige Blicke. Auch die Fensterfront der Hausnummer 45 – mitten zwischen Videoverleih und Asia-Imbiss – findet kaum Beachtung. Eine Tür, links und rechts ein Schaufenster, darin je ein großes Ölgemälde – abstrakte Kunst, über deren Qualität sich streiten lässt. Darüber ein Schild: „Angelis-Bestattung“. Durch die Glastür des Ladenlokals fallen die Strahlen der Nachmittagssonne auf den glatten Holzboden. In der rechten Ecke des quadratischen Raumes steht ein wuchtiger Tisch mit zugehörigen Sesseln im Biedermeierstil; auf dem Tisch steht ein ebenso wuchtiger Strauß von weißen Orchideen. Vollendet wird dieses Ensemble von einem meterhohen goldenen Kronleuchter, der, von Blütenranken und Ornamenten geschmückt, in der Mitte des Raumes hängt. Sonst ist der Raum beinahe leer. Diese Leere und die Stille, die über ihm liegt strahlen eine gediegene, fast edle Kälte aus. Sie bilden einen starken Kontrast zu der drückenden Hitze und dem Gewimmel von Menschen auf der anderen Seite der Fensterscheiben. Eigentlich wirkt alles hier wie aus einer anderen Zeit und will nicht so recht ins Hier und Jetzt passen. Aber symbolisiert nicht Vergangenes auch Vergänglichkeit und ist Vergänglichkeit nicht einfach ein anderes Wort für Tod?

Der beste Job der Welt

Die Auseinandersetzung mit dem Tod fällt vielen Menschen nicht gerade leicht, wahrscheinlich, weil sie sie an die eigene Vergänglichkeit erinnert. Der Besuch eines Grabes, das Begehen einer Trauerfeier, der Anblick einer Leiche – all das sind Dinge, die sie so lange wie möglich von sich weisen möchten. Es gibt jedoch Menschen, die sich beruflich damit befassen. Tag für Tag, Jahr für Jahr. Daniell Schmid ist einer von ihnen. Jahrgang 1987, Auszubildender im dritten Lehrjahr, Berufsziel: Bestatter. So weit, so gut. Wenn er in seinem schwarzen Anzug, der „Berufsuniform“ der Bestatter, vor einem steht – mittelgroß, schlank, mit einem sauber in Form gebrachten Drei Tage-Bart – mag zunächst nur sein Alter irritieren. Warum entscheidet sich ein so junger Mensch dazu, den Tod zu seinem Beruf zu machen? Erst auf den zweiten Blick fallen die beiden Piercings in der Unterlippe und die gro- ßen, runden Löcher in seinen Ohrläppchen auf. An seinem Nacken, fast verdeckt vom Kragen seines Sakkos, blitzen die Spitzen eintätowierter Sterne hervor. Es stellt sich die Frage, wie jemand, der den genauen Gegenentwurf eines klassischen Totengräbers verkörpert, diesen Weg einschlagen konnte. „Reiner Zufall. Eigentlich war ich mitten in der Ausbildung zum Dekorateur. Dann nahm mich ein Freund eines Tages mit in das Bestattungsunternehmen eines Bekannten und irgendwie hat das gepasst. Nachdem ich einige Monate als Aushilfe gearbeitet hatte, wurde ich als Azubi übernommen. Und ehrlich gesagt: Es ist der beste Job, den ich mir vorstellen kann.“ Daniells Entscheidung treffen nicht viele Menschen in Deutschland. In München gibt es derzeit außer ihm nur einen weiteren Auszubildenden. In seinem Jahrgang an der Berufsschule in Bad Kissingen sind sie zu 120st. Obwohl die Schule in Deutschland die größte ihrer Art ist und es nur zwei weitere gibt, erlernen an ihr nur rund 300 SchülerInnen den Beruf der Bestattungsfachkraft. Die Wenigsten sind dabei so jung wie Daniell. Meist entscheiden sie sich erst spät, diesen Weg einzuschlagen; und meist sind sie männlich.

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