Für immer und dich

Von Sören Sörensen

Für immer und Dich

Liebe? Was soll das denn nun? Ein Themenheft zur Liebe in Zeiten von Lagern, Essenspaketen, Dublin III und über 20.000 Toten im Mittelmeer, diesem nassen Grab des europäischen Humanismus? Muss das sein? Nein, aber es kann natürlich. Denn auch die Liebe ist ein guter Grund zu gehen, abzuhauen, das Weite zu suchen, das Glück woanders oder auch: den Unterhalt für die Lieben daheim suchen in den Zentren der Akkumulation. Aber was bitte schön ist interessant genug für ein Heft über die Liebe? Die Erkenntnis, dass der Alltag der größte Feind des Menschen ist, in der Ehe, der Isolation in der Kleinfamilie der Tod der Liebe schlechthin lauert? So wahr wie oft gesagt. Und dennoch stranden wieder immer mehr von uns darin. Ist uns zu helfen? Vielleicht mit Geschichten.

„dass Liebe eine Primzahl ist und völlig linear / dass man sie nicht teilen und nicht streuen kann / hier und da / zeig mir wo das steht“ (Annett Louisan „Sexy Loverboy“)

Maria: Er kam als Erstsemester zu uns in die Fachschaft. Ganz Cowboy, Abenteurer, politischer Aktivist. Und er war ansehnlich. Nun gut, vielleicht sogar attraktiv. Auf jeden Fall attraktiv genug, um ihm ein wenig Hoffnung zu machen, denn auf der Suche war er und offensichtlich frisch in der Stadt. Das erste Fachschaftswochenende läutete dann die folgenden sieben Jahre unserer Beziehung ein. Durch schwindelige Höhen und tiefe Tiefen, durch Trennungen und Wiedervereinigungen, eine abgebrochene Schwangerschaft und über erfolglose Ablösebeziehungen hinweg. Immer wieder kamen wir zusammen, ständig zweifelte er, immer wieder ließ ich mich auf ihn ein. Bis das Fass der Tränen voll war. Es war dann nicht der eine große Streit, eher das hundertste zermürbende Gespräch in einer unser damaligen WGs, in denen wir unsere bemühten Mitbewohnerinnen und Mitbewohner über alle Maßen mit unserer Unfähigkeit, uns zu trennen, strapazierten. Dann war Schluss. Schluss mit dieser immer wieder sehr glücklichen, letztendlich aber doch glücklosen Beziehung. Aber wir ließen uns nicht aus den Augen und haben stattdessen die Sorgen und Nöte, die Folgebeziehungen himmelhochjauchzend mitgenossen beziehungsweise die Trauer über deren Scheitern gemeinsam in Rotwein ertränkt. Heute, 30 Jahre nach diesem ersten Fachschaftswochenende, sind wir zweifellos beste Freunde und beim anderen mindestens auf Nummer drei der Handy-Kontakte. Wir haben beide Kinder und teilen auch heute noch unsere Alltagssorgen. Ausschlaggebend dafür war sicherlich unsere beiderseitige Erfahrung, dass die Liebe jenseits aller Rationalität seine Gültigkeit, ja seine ganz eigene Wahrheit hat. Eine Wahrheit, die oft zu tiefsten Verletzungen führen kann. Aber dass dies eben eine Wahrheit ist, gegen die wir uns nie sträuben wollten. Da waren wir uns zutiefst einig. Als mich zum Beispiel damals fast alle aus der Szene gehasst haben, weil ich, in Liebe zu einem verdeckten Ermittler, der sich undercover auf eine Liebesbeziehung mit mir eingelassen hatte, dessen Klarnamen nicht rausrücken wollte (obwohl ich ihn natürlich erfuhr, sein Vorgesetzter ihn abzog und er untertauchte). Da war er einer der wenigen, die zu mir hielten. Hier war Verrat im Spiel an Genossinnen und Genossen, die sich zutiefst enttäuscht abwendeten. Aber ich konnte nicht anders, wegen einer Liebe, die größer war, als ihre politische Wahrheit.

(der ganze Artikel im PDF Format)