Die Gewaltförmigkeit der Argumente

Von Ulrike Manz

Die Gewaltförmigkeit der Argumente

In der Weimarer Republik wurde quer durch die politischen Lager eine Debatte über Eugenik geführt, die sich durch ihre wohlfahrtsorientierte Ausrichtung auszeichnete. Gefordert wurden Sterilisationen, Eheverbote und Asylierung sogenannter „Minderwertiger“. Auch die bürgerlich-gemäßigte Frauenbewegung bezog sich positiv auf eugenisches Gedankengut

Die Geschichte der Sozialen Arbeit ist auch eine Geschichte der Kategorisierungen von Menschen. Wem geholfen werden soll, wer genau der Hilfe bedarf und wie sich aus der Konstruktion spezifischer Zielgruppen bestimmte Maßnahmen herleiten lassen, sind die grundlegenden Fragen sozialarbeiterischen Handelns. Insofern kann man sagen, dass das Unterscheiden und Differenz-Herstellen zwischen Menschen zu den konstituierenden Merkmalen Sozialer Arbeit gehört. Dieser grundlegende Zusammenhang zwischen Sozialer Arbeit und Kategorisierungen folgt dabei historisch spezifischen Erklärungsmustern: welche Personen unterstützungsbedürftig sind und welche nicht, welche Kriterien hier angelegt werden, ist jeweils konkret historisch situiert.

Auch eugenische Differenzierungen und Deutungsmuster wurden zur Kategorisierung von Menschen in der Sozialen Arbeit herangezogen. Eugenik ist ganz allgemein eine auf Francis Galton (1822- 1911) zurückgehende Gesellschaftstheorie und politische Strategie, die zum Ziel hat, die „gesundheitliche Qualität“ kommender Generationen zu beeinflussen. Dies wird angestrebt einerseits über Maßnahmen der sogenannten „positiven Eugenik“, die die Nachkommenschaft bestimmter, ausgewählter Personen fördern sollen, sowie andererseits über die Maßnahmen der „negativen Eugenik“, die die Verhinderung von Geburten der als „minderwertig“ stigmatisierten Menschen zum Ziel haben. Da es sich bei der Eugenik um eine seit nunmehr fast 200 Jahren währende Gesellschaftstheorie und politische Strategie handelt, muss die Frage nach der Bedeutung eugenischer Differenzierungen und Deutungsmuster in der Sozialen Arbeit zeitlich eingegrenzt werden. So konzentriere ich mich auf die Debatten der bürgerlichen Frauenbewegung zu Fragen der Sozialen Arbeit während der Weimarer Republik in den 1920er Jahren. Diese Auswahl eröffnet die Möglichkeit, über die historisch spezifische Analyse den Blick für gegenwärtige Problemfelder zu schärfen. Denn zum einen fand die eugenische Debatte in den 1920er Jahren im Kontext eines wohlfahrtsstaatlichen und demokratischen politischen Systems statt und ist somit nicht auf die historische Phase des Nationalsozialismus zu reduzieren. Zum zweiten ermöglicht gerade die Untersuchung von Emanzipationsbewegungen ein Verständnis für die Anschlussstellen zwischen emanzipativem und eugenischem Gedankengut – und damit auch deren kritische Reflexion.

Eugenik in Die Frau

Die Gesellschaftstheorie der Eugenik wurde in den 1920er Jahren in Deutschland anhand verschiedener Themenbereiche wie Sterilisation, Eheverbot und Asylierung sogenannter „Minderwertiger“ diskutiert. Virulent wurde die Eugenik als politisches Programm vor allem in Verbindung mit der Sozialen Frage. So verbanden die Eugeniker die biologische Reduktion des Menschen auf sein „Erbgut“ mit der ökonomischen Reduktion auf seine „Leistungen“. Die Frage „Was kosten die Minderwertigen den Staat?“ führte zu Überlegungen, wie das eugenische Auslesedenken mit den Kostenkalkulationen im sozialen Bereich verknüpft werden könnte. Kennzeichnend für diese Debatte in der Weimarer Zeit ist dabei ihre wohlfahrts orientierte Ausrichtung sowie die breite Beteiligung politisch disparater Gruppen.

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