Bleiberecht für Opfer rechter Gewalt

Von Hannes Püschel

Altes Thema, neue Brisanz

Die aktuelle Welle rassistischer Gewalt und die verstärkten Bemühungen, Flüchtlinge und Migrantinnen und Migranten abzuschieben, werfen erneut das Thema „Bleiberecht für Opfer rechter Gewalt“ auf, das zuletzt Anfang der 2000er Jahre eine größere Rolle gespielt hat.

Alleingelassen in Albanien

In einem Café der südalbanischen Stadt Fier sitzen ein gutes Dutzend Menschen zusammen. Zwei, drei junge Männer, der Rest ist zwischen 30 und 50, einige haben ihre Kinder dabei. Sie sind hier, um über ihre Erfahrungen als Asylbewerber in Deutschland zu sprechen. Diese sind vor allem deprimierend und verstörend. Alle Anwesenden sind Opfer eines rechten Anschlages auf eine Asylbewerberunterkunft im Brandenburgischen Massow. Anfang September 2015 griff dort ein schon vorher rassistisch auffällig gewordener Mann, der für eine Baufirma im Auftrag des Heimbetreibers tätig war, die Bewohner und Bewohnerinnen mit einem großen Kanister Pfefferspray an, den er auf den Fluren des Heimes versprühte. Etwa 80 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Weder der Heimbetreiber noch der zuständige Landkreis Dahme-Spreewald unternahmen danach Bemühungen, die Betroffenen, die zum Teil mit Verletzungen der Atemwege und langandauernden psychischen Folgen zu kämpfen haben, beim Zugang zu psychologischer und medizinischer Betreuung zu unterstützen. Stattdessen wurden sie unter Druck gesetzt, das Land zu verlassen. Elvis K. (alle Namen geändert) beschreibt, wie er nach dem Angriff von den Behörden behandelt wurde: „Ich wusste, dass wir Deutschland verlassen müssen. Ich wollte nur, dass mein Sohn, der bei dem Angriff verletzt wurde, hier geheilt wird. Danach wären wir freiwillig nach Albanien zurückgekehrt. Doch der Mann auf der Ausländerbehörde schrie mich an, dass wir hier nichts zu suchen haben und schon längst nach Albanien hätten zurückgehen müssen. Wenn wir jetzt nicht sofort gehen, dann würden wir abgeschoben und dürften lange nicht mehr in die EU einreisen.“ Eine Erfahrung, die von den anderen bestätigt wird. Elvis K. weiter: „Mein Sohn wacht jede Nacht auf und schreit „Mama, Mama, sie werfen Gas, sie bringen uns um“. Der Arzt sagt, es ist ein Trauma. Wir haben hier keine Möglichkeit, das behandeln zu lassen“. Tatsächlich beschreiben auch mehrere der anwesenden Erwachsenen, dass sie immer noch unter Atemproblemen und Alpträumen litten. Doch nicht nur die medizinischen Folgen treiben sie um. Auch ohne vertiefte Kenntnis des deutschen Rechtswesen haben sie registriert, dass ihre Rechte als Opfer einer Straftat beschnitten wurden. Ardit F.: „Die Polizei hat uns nie befragt. Dabei haben wir Albaner als einzige gesehen, wie der Angriff anfing. Sie haben uns gezwungen auszureisen, bevor es eine Gerichtsverhandlung gab. Manchmal denke ich, sie wollten verhindern, dass wir als Zeugen aussagen.“ Selbst wenn das zuständige Gericht wollte, könnten sie nicht als Zeugen geladen werden. Die meisten wohnen ohne offizielle Meldeadresse, schon den albanischen Behörden dürfte es schwerfallen, sie ausfindig zu machen.

Gedrängt zur„freiwilligen“ Ausreise

Der Fall der Albanerinnen und Albaner aus Massow ist einer der gravierendsten Fälle der letzten Zeit, in denen die Opfer rechter Gewalt gezwungen wurden, Deutschland zu verlassen. Er ist aber nicht der einzige. Neben weiteren Fällen in Brandenburg sind seit 2014 auch in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen Fälle bekanntgeworden, in denen Betroffene rechter Gewalt abgeschoben bzw. zur Ausreise gedrängt wurden.
So wurden in Finsterwalde (Brandenburg) traumatisierte Kriegsflüchtlinge aus Tschetschenien, die in Deutschland Opfer eines rassistischen Angriffs wurden, nachdem das Sozialamt endlich die bis dahin verweigerte psychologische Mindestversorgung der Betroffenen prüfen wollte, kurzerhand nach Polen abgeschoben. In Greifswald wurde der aus Afghanistan stammende Hauptbetroffene eines rechten Angriffs und wichtigste Zeuge gegen die vier Angreifer noch vor der Gerichtsverhandlung genötigt, das Land zu verlassen, was er aus Angst vor einer Abschiebung auch tat. In Berlin wurde ein Kosovoalbaner, der eine Traumatherapie machte, zur Ausreise gedrängt. Das ist nur eine kleine Auswahl, die zeigt, wie prekär die Lage von Betroffenen rechter Gewalt mit unsicherem Aufenthaltsstatus ist.

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