Als ich einmal der Gentrifikation bezichtigt wurde

Von Boris von Johnson

Als ich einmal der Gentrifikation bezichtigt wurde

Veränderungen im Westend oder was mich noch mehr ärgert

Sehr geehrter Herr Schmidt

zunächst einmal herzlichen Glückwunsch! Es ist Ihnen mit Ihrem schriftlichen Rundumschlag gegen uns Ladeninhaber im Westend gelungen, Stoff für Ihren Gedichtband über den Angriff des imperialistischen Großkapitals in Form von Kunsthandwerkern und Betreibern kleiner Geschäfte auf das Westend zu sammeln.

Vor einigen Wochen erhielten wir (in unserer Eigenschaft als Betreiber eines kleinen Ladens, in dem von meiner Frau selbst hergestellte Mode von uns selbst verkauft wird) ihren „Liebesbrief“ (Anm. d. Red: Siehe Seite 82). Ihr Schreiben ist die Grundlage auf der ich mich an dieser Debatte beteilige. In diesem Brief teilen Sie uns mit, dass es vor unserer Anwesenheit im Westend schöner war und wir, auch wenn es uns wegen unseres kleinbürgerlichen Hintergrundes schwerfiele, doch mal darüber nachdenken sollten, dass wir mit unserem „Westendschick“ andere verdrängen, nämlich Migranten und andere sozial Schwache (ein Begriffspaar, dass Sie in Ihrem Schreiben verwenden; ich für meinen Teil kenne auch viele Migranten die sozial stark sind). Zudem verleihen Sie charmanterweise Ihrer Hoffnung Ausdruck, dass wir, bzw. unsere Kollegen in absehbarer Zeit pleite gehen könnten und damit Ihr ursprüngliches Westend wieder auferstehen könnte.

Ihre Vorwürfe halte ich allerdings für vollkommen irrelevant, denn einem Menschen, der versucht, durch die Arbeit seiner eigenen Hände zu überleben, vorzuwerfen, er verdränge andere, ist sinnlos und unfair. Mit dieser Logik hätten nur noch die Ärmsten der Armen eine Daseinsberechtigung, da ja immer der, der ein bisschen mehr hat als der Andere, diesen irgendwo verdrängt, ob er das nun will oder nicht. Solange Sie nicht in der Lage, bzw. willens sind, mir eine akzeptable Wohnung und ein Einkommen zur Verfügung zu stellen, möchte ich Sie bitten, mir die Wahl meines Lebensumfelds selbst zu überlassen. Wenn Ihnen unsere Tätigkeit oder unser Stil missfällt, so tut mir das leid, aber ich denke, damit müssen und können Sie leben.

In Ihrem Schreiben stellen Sie insbesondere die im Westend entstandenen Galerien, als in einem Arbeiter- und Migrantenviertel völlig überflüssig und fehl am Platze dar. Damit gelingt es Ihnen peinlicherweise auch noch, die von Ihnen so mütterlich vor uns Künstlern in Schutz genommene Gruppe von Arbeitern und Migranten als kulturfern und desinteressiert zu degradieren.

Leider hat Ihnen Ihr Verstand einen Streich gespielt, als Sie die Künstler und Ladeninhaber im Westend, die zum großen Teil neben ihrem Geschäft noch anderen Beschäftigungen nachgehen (oft übrigens in sozialen Berufen im Westend), als die Feinde des Westends identifiziert haben.

Wir arbeitenden und zum Teil migrierten Künstler tragen etwas zum Miteinander im Viertel bei und müssen uns genauso gegen die Verdrängung durch Investoren, kommerzielle Ladenketten und Luxussanierer wehren wie viele andere im Viertel.

(der ganze Artikel im PDF Format)